Wir stehen am Anfang einer neuen Art der Landnutzung

Zurzeit häufig diskutierte Themen handeln um den abzeichnenden Mangel an Strom und Gas. Weiter bahnen sich Nahrungsmittelknappheit aufgrund steigender Produktionskosten sowie neuen Herausforderungen bei globalen Lieferketten an. Wie passt somit Energiesicherheit und Nahrungsmittelproduktion zusammen, ohne sich gegenseitig zu konkurrenzieren?

Die Agri-PV könnte eine mögliche Antwort dazu sein.

Was ist eine Agri-PV-Anlage?
Agri-Photovoltaik (Agri-PV) bezeichnet eine einzigartige Synergie; ein Verfahren zur gleichzeitigen Nutzung von Agrarflächen für die landwirtschaftliche Pflanzen- und Nahrungsmittelproduktion (Photosynthese) und die PV-Stromproduktion (Photovoltaik). 

Auf eine innovative Weise wird die landwirtschaftliche Fläche sowie der Einsatz von Photovoltaik neu genutzt. Es entstehen Synergien, die einen wirklichen Mehrwert in der Landwirtschaft generieren.

Die Energiestrategie der Schweiz sieht vor, dass bis im Jahr 2050 die CO2- Neutralität erreicht wird. Nach unserer Meinung gehen wir davon aus, dass sich dieses Ziel nur mit einem bedeutenden Ausbau der Nutzung von Sonnenenergie erreichen lässt. Es wird geschätzt, dass dazu eine jährliche Steigerung um mindestens 2 Gigawatt peak (GWp) pro Jahr (45 GWp bis 2050) erforderlich ist, was 2-3 Mal dem heutigen Stand entspricht. In Europa sowie der Schweiz ist die kombinierte Nutzung der Landfläche auf dem Vormarsch und erste Versuchsprojekte laufen.

Eine clevere Kombination
Stromproduktion und Schutz für Pflanzen; eine clevere Kombination und die Effizienz der Landnutzung steigt. In Summe wird mehr produziert, als wenn nur Strom oder nur Nahrungsmitteln produziert werden. Momentan fehlen jedoch noch verlässliche Daten zum Kulturertrag, da bislang erst sehr wenige Anlagen im europäischen Umfeld gebaut wurden. Wir stehen noch ganz am Anfang, es fehlen leider die Langzeiterfahrungen.

Wie für den Ertrag fehlen darüber hinaus verlässliche Daten zur erreichbaren Fruchtqualität. Versuche aus Holland und dem Südtirol zeigen, dass gewisse Kulturen von der Teilbeschattung profitieren, andere Sorten jedoch unter der Beschattung leiden. Fakt ist sicher wiederum die Erkenntnis, dass nicht jedes Landwirtschaftsjahr gleich ist wie das andere. Im vergangenen Jahr mit sehr viel Sonnenschein lässt sich eine Teilbeschattung rechtfertigen, im Regensommer 2021 ist das Thema Witterungsschutz/Regendach das bessere Argument.

Schutz des Ernteguts
Die Klimaveränderungen bringen vermehrt extreme Wetterereignisse mit sich. Die Überdachung mit lichtdurchlässigen PV-Modulen schützt den Anbau vor Hagel, Starkregen, Stürmen und Hitzewellen. Früchte und Beeren, die keine direkte Sonneneinstrahlung vertragen, profitieren davon besonders. Viele der bei uns angebauten Reihenkulturen werden heute schon geschützt, sei es mit Hagelnetzen oder mit Regendächern wie z.B. die Kirschen.

Pilotanlagen mit Himbeer- und Erdbeerplantagen zeigen, dass die Agri-PV-Anlage es ermöglicht, den Einsatz von Pflanzenschutzmittel zu drosseln. Durch die Teil-Überdachung ergibt sich eine kürzere Blattnassphase und bessere Durchlüftung der Anbaureihen. Weniger Pflanzenschutzmittel bedeutet ferner mehr Biodiversität. In Österreich läuft seit dem letzten Jahr sogar ein Bioversuch - wir sind gespannt auf die Resultate.

Bewässerungsoptimierung
Die Wasserverdunstung am Boden wird durch die halbschattigen Lichtverhältnisse reduziert. In trockenen Regionen mit hoher Sonneneinstrahlung unterstützt die Agri-PV-Anlage Wasser einzusparen – was bei einigen Nahrungsmitteln ein Mehrwert bedeutet. Noch vor 20 Jahren war Bewässerung in unseren Breitengraden nur gerade im Gemüseanbau im Gespräch. Unterdessen ist der Bewässerungsbedarf ebenso in Obstanlagen ein Thema. Viele Landwirte haben sich in diesem Bereich bereits mit Technik eingedeckt.

Voraussetzungen für eine Agri-PV-Anlage
Was sind nun die Voraussetzungen aus betrieblicher Sicht? Als erstes braucht es eine Fläche, welche mit einer Kultur bedeckt ist, die mit einer reduzierten Sonneneinstrahlung trotzdem einen entsprechenden Ertrag erwirtschaften kann. Ab einer Fläche von 50 Aren muss man sich bewusst sein, dass wahrscheinlich eine Trafostation notwendig ist, d.h. einen Anschluss an das Mittelspannungsnetz. Die Grundinvestitionen dazu betragen ca. 200-300´000 CHF. Hinzu kommt, dass bei potenziellen Flächen darauf geachtet werden sollte, dass diese nicht allzu weit vom Versorgungsnetz entfernt liegen. Will man den Strom teilweise auf dem Hof verwenden, ist die Nähe zu den Ökonomiegebäuden von Relevanz.

Da eine Agri-PV sinnvollerweise 20-30 Jahre am Standort verbleiben sollte, um wirtschaftlich betrieben zu werden, muss dieser Investition eine seriöse Interessensabwägung und eine langfristige Überlegung zur Betriebsstrategie vorausgehen.

Wie sehen die Bewilligungsverfahren aus?
Noch im Jahr 2020 wäre es undenkbar gewesen, in der Schweiz eine Solaranlage auf ein Feld zu bauen. Mit den im letzten Jahr geschaffenen neuen Grundlagen in der Raumplanung wurde eine erste Hürde genommen; auf Fruchtfolgeflächen soll nur eine Bewilligung erhalten, wer einen höheren Naturalertrag dank Agri-PV erreichen kann.
Was bisher utopisch schien, ist mit der Annahme der Revision der Raumplanungsverordnung in greifbare Nähe gerückt – der Bau von PV-Anlagen auf Landwirtschaftsland.

Unterdessen wurde eine Motion von Rocco Cattaneo im Dezember eingereicht:
Der Bundesrat wird beauftragt, den Artikel 18 des Raumplanungsgesetzes (RPG) so zu ändern, dass die Errichtung von Agri-Photovoltaik-Anlagen grundsätzlich erlaubt wird. Als Agri-Photovoltaik-Anlagen gelten Einrichtungen mit mindestens einer der folgenden Eigenschaften:

  1. Erhöhung des Potenzials der Produktion im Bereich Landwirtschaft/ Obst und Gemüse in qualitativer und quantitativer Hinsicht.
  2. Verbesserung der Fähigkeit, sich an den Klimawandel anzupassen.
  3. Schutz der Kulturen vor witterungsbedingten Ernteausfällen – keine permanenten Einrichtungen.

Der Bundesrat beantragte die Annahme der Motion vom 15.02.2023. Als erstbehandelnder Rat hat nun der Nationalrat diese am 17.03.2023 angenommen. In Zukunft wird es wohl allgemein einfacher für Reihenkulturen, welche sowieso geschützt werden müssen, eine Bewilligung zu erhalten.

Welches System wähle ich aus?
Bei den Systemen ist sicher die Bewirtschaftungsrichtung (Anlage der Reihen) und die Exposition wichtig. Zugleich stellt sich die Überlegung bezüglich der Beschattung; wieviel Licht erfordert die Kultur? Braucht es einen vollständigen Witterungsschutz oder genügt der Schutz oberhalb der Kultur? Wie hoch soll das System gebaut werden? Welche Maschinen werden in der Kultur eingesetzt? Vielleicht selbstfahrende Erntemaschinen?

Die verwendeten Solarmodule haben vollständig transparente Zellzwischenräume und lassen daher genügend Helligkeit durchfliessen, um das Pflanzenwachstum zu fördern. Teilstandardisierte Unterkonstruktionen können den jeweiligen Lagen angepasst werden. Die Bewässerung sowie die Verkabelung werden in der Anlage integriert.

Ost/ West System
Das wohl einfachste System basiert auf bestehenden Reihenabständen, wo mittels Stahlkonstruktion ein Solarmodul oberhalb der Kulturreihe installiert wird. Die Zwischenräume können optional mit konventionellen Hagelnetzen ausgestattet werden und so den Schutz erhöhen. Der Beschattungsgrad bei solchen Anlagen variiert zwischen 40-60%.

  • Vertikalprofil in jeder Pflanzenreihe platziert
  • Zwei Reihen sind miteinander verbunden
  • Stufenbauweise ist möglich
  • Reihen sind mittels Strebe miteinander verbunden
  • Flexibilität bei der Spannweite und der Erntehöhe


Endless System
Für grössere Flächen bietet sich das Endless System an:

  • Es können mehrere Pflanzenreihen überspannt werden
  • Ideal für grossflächige Projekte mit ebenem Gelände
  • Flexibilität in Spannweite und maximaler Pflanzenhöhe
  • Lichtdurchlässigkeit kann konstruktiv reguliert werden
  • Integriertes Kabelmanagement für hohe Sicherheit und geringen Wartungsaufwand
  • Stufenbauweise ist bedingt möglich


Row System

  • Vertikalprofil in jeder Pflanzenreihe platziert
  • Zwei Reihen sind miteinander verbunden
  • Stufenbauweise ist möglich
  • Reihen sind mittels Strebe miteinander verbunden
  • Flexibilität bei der Spannweite und der Erntehöhe
  • Integriertes Kabelmanagement für hohe Sicherheit und geringen Wartungsaufwand


Förderungen/ Kosten?
Leider sind konkrete Zahlen noch sehr dürftig verfügbar. Bei Standardsystemen mit einer Bauhöhe von 3,5 m und einem Reihenabstand von 4 m rechnen wir mit Baukosten von 1-1,5 Mio pro Hektare aus. Eine Anlage mit einer Leistung von rund 900 kWp produziert rund
800´000 kWh Strom.

Bezüglich der Förderung gehen wir davon aus, dass ein Betrieb entweder bei der GREIV (grosse Einmalvergütung für Eigenverbrauchsanlagen) oder bei der HEIV (Einmalvergütung ohne Eigenverbrauch) zwischen 250’000- 450´000 CHF an Fördermitteln beanspruchen kann.

Neue Perspektiven in der Landwirtschaft
Ist die Agro-PV eine neue Perspektive oder nicht? Grosse Investoren aus der Energie- und Finanzindustrie beobachten die Entwicklungen im Bereich Agri-PV mit Argusaugen. Genau diesen Kreisen ist es schon lange ein Dorn im Auge, dass in der Schweiz keine grossen Freiflächenanlagen gebaut werden können.

Im Ausland haben genau die gleichen Tendenzen dazu geführt, dass die Landbesitzer die Flächen nicht mehr den ansässigen Bauern verpachteten, sondern dem meistbietenden Investor für 30 Jahre überlässt. Wir sind der Meinung, dass sich die Branche in der Schweiz gegen solche Tendenzen wappnen muss. Wir befürworten eine massvolle Investition in Agri-PV, an den passenden Standorten und mit geeigneten Kulturen. Der Nutzen, sprich der Ertrag muss von uns aus gesehen jedoch in der Branche bleiben; es darf nicht sein, dass die Investoren den grossen Gewinn einfahren und die Landwirtschaft wieder einmal nur das Mittel zum Zweck ist.